Wer sich diese Musik anhört, glaubt eine Schallplatte aus den 1930er oder 40er Jahren zu hören - musikalisch betrachtet. Denn die klangliche Seite ist eine andere, „Jazz On Vinyl Vol. 6“ vermittelt den Eindruck, die Musiker spielen leibhaftig im Hörzimmer. Was an sich nett wäre, denn das Leo Betzl Trio swingt hier leidenschaftlich. Erstaunlich, kennt man von ihnen doch eine andere Stilrichtung. JAZZ ON VINYL VOL. 6 / LEO BETZL TRIO - SWING ON VINYL (LP, 180G VINYL) Kein Wunder, dass zu Konzerten des Leo Betzl Trio vorwiegend junges Publikum kommt und das meist in großer Zahl. Denn ihr Sound ist höchst ungewöhnlich: Techno! Jedoch rein akustisch erzeugt, auf Klavier, Kontrabass und Schlagzeug, ohne Computer, Samples oder Synthesizer. Das ist kaum zu glauben, wenn man Platten wie „My Song“ hört. Nun aber erleben wir eine komplett andere Seite des LBT: den klassischen Swing-Jazz längst vergangener Jahrzehnte. Ob es ein Teil ihrer musikalischen Leidenschaften ist oder einfach nur die Lust, etwas authentisch passendes zum Thema Vinyl zu spielen? Zumindest darf man erstaunt konstatieren, dass alle sieben Stücke dieser Schallplatte von den jungen Musikern selbst komponiert wurden. Es ist also kein Zufall, dass hier mehr dahinter steckt als nur eine Laune. Das Trio taucht sichtlich mit Hingabe und Stilsicherheit in die Zeit der 30er bis 50er Jahre, die von Musiker wie Benny Carter, Coleman Hawkins, Benny Goodman oder Duke Ellington geprägt wurden. Wobei letztere eher in größeren Besetzungen zu hören waren. Diese LP jedoch ist mit der Trio-Ausrichtung eher den „Small Groups“ zuzuordnen, die man eher in den 50ern hörte. Einer, der unter den damaligen Pianisten sehr geschätzt wurde, war Earl „Fatha“ Hines. Ihm scheint wohl auch das erste (und auch das letzte) Stück der LP gewidmet worden zu sein: „The Earl“. Wie authentisch nahe das LBT an dessen alten Sound mit dieser nagelneuen Komposition kommt, kann man durch einen Quercheck zu den alten Aufnahmen des US-amerikanischer Jazz-Pianist sehr gut nachvollziehen. Das anschließende „O Pintor“ hingegen hat eine feinen Latin-Einschlag, „Farewell And Goodbye“ kommt im eleganten Bop-Gewand und vermittelt fast schon den Sound eines ganzen Orchesters. Im Stride-Piano-Stil eröffnet „For Carsten“ Seite 2 der LP. Gleich mehrere Gänge schaltet das Trio mit der nächsten Nummer zurück: „By My Side“, das ist einfach nur brilliant und zum Träumen schön. Hier allerdings kommt eine kleine Kritik von mir: der Kontrabass ist beim Solo deutlich leiser als etwa das Piano, das hätte vielleicht doch etwas präsenter sein dürfen. „Jules Blues“ treibt dann das Tempo wieder etwas voran, das groovt herrlich. Und zum Schluss wie erwähnt noch ein kurzes Intermezzo mit „The Earl“. Anzumerken ist, dass dies wieder rein analoge Aufnahmen sind und man in diesem Fall sogar von einer rein bayerischen Produktion sprechen kann. Die Einspielungen entstanden im Münchener Jazzclub Unterfahrt und im Studio von Manfred Mildenberger (ebenfalls München), die Pressung des Vinyl fand bei MY45 statt, welche in Tiefenbach im Landkreis Passau beheimatet sind. Ein Made in Bavaria also! Edit 18.12.2021: Vom Labelchef und Tontechniker Herrn Klatte habe ich erfahren, dass der Bass in der beschriebenen Passage von „By My Side“ deshalb leise ist, weil sich der Musiker vom Mikro wegbewegt hat, trotzdem aber allen Beteiligten diese Version gefiel. Und es ist eben eine Direct-To-Tape-Aufnahme ohne jegliche Manipulation! Leo Betzl - Piano, Maximilian Hirning - Bass Sebastian Wolfgruber - Schlagzeug