Joseph Haydn (1732-1809) & Walter Jens (1923-2013): Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze in der Orchesterfassung mit zeitgenössischen Betrachtungen von und mit Prof. Walter Jens (1923-2013) Bayerische Kammerphilharmonie Dirigent: Alan Buribayev Ein Konzertmitschnitt aus der Kirche des UNESCO-Weltkulturerbes Kloster Maulbronn vom 10. Juni 2004 Mühlacker Tagblatt - Philosoph aus Tübingen deutet die sieben letzten Worte von Jesus am Kreuz – Kammerphilharmonie spielt Haydn, Walter Jens meditiert in der Klosterkirche Das dritte Konzert in der diesjährigen Reihe „Musica sacra' im Rahmen der Klosterkonzerte Maulbronn gewann seine ganz spezifische Prägung durch zwei höchst eindrucksvolle Auftritte. Der Tübinger Geisteswissenschaftler und Essayist Walter Jens meditierte über die sieben letzten Worte von Jesus Christus am Kreuz, und dazu führte die Bayerische Kammerphilharmonie die gleichnamige Komposition von Joseph Haydn auf. Gerade diese Verbindung des Wortes, gesprochen von einem der bedeutendsten, durchaus auch jederzeit streitbarem Denker und Rhetoriker, in dessen umfangreichem Lebenswerk Theologie und Literatur, Philosophie und Kommentierung des politischen Geschehens in unserem Lande gleichrangige Plätze einnehmen, mit der Musik von Joseph Haydn, die trotz der Düsternis und Dramatik des Themas wahrlich keine Trauermusik darstellt, vermittelte den Besuchern am Donnerstagabend in der Klosterkirche Maulbronn den Inhalt der bis heute erschütternden Leidensgeschichte des am Kreuz sterbenden Jesus Christus auf eindringliche Art. Die sieben letzten Worte, wie sie von den Evangelisten im Neuen Testament niedergeschrieben wurden, deutete Walter Jens in klarer Wortwahl aus, wobei es dem Redner gelang, eins ums andere Mal mahnende Bezüge zu Ereignissen der jüngeren Geschichte herzustellen. Wenn Walter Jens die grausamen Foltermethoden der römischen Soldateska, die an Jesus vollzogen wurden, unmissverständlich beschrieb, so kam er im selben Satz auf die Gegenwart zu sprechen, in der, wie zurzeit nahezu täglich, Menschen auf furchtbarste Art gedemütigt und gepeinigt werden. Jens greift zu Worten der Warnung Doch auch den religiösen Aspekt dieser sieben letzten Worte des Gekreuzigten durchleuchtete und interpretierte der seit 1988 emeritierte Tübinger Professor in einer Weise, die auch Mitmenschen, die es möglicherweise mit der Religion nicht so innig halten, eingehen mussten. Vor dem letzten Satz der Haydn-Komposition, der als „Erdbeben' bezeichnet worden ist, sprach Walter Jens eine aufschreckende Warnung aus: So wie die Welt heute ist, könnte es geschehen, „dass die Schöpfung zurückgenommen wird'. Vollendeten musikalischen Genuss bot die Bayerische Kammerphilharmonie unter der Leitung des noch sehr jungen Dirigenten Alan Buribayev. Das im Jahr 1785 im Auftrag eines Domherrn aus der andalusischen Stadt Cadiz komponierte Werk „Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuz' besteht aus sieben sonatenartig angelegten langsamen Sätzen sowie einem achten, von Joseph Haydn mit „Terremoto' (Erdbeben) überschrieben, mit welchem zugleich auf den biblischen Bericht verwiesen wird, wonach im Moment des Todes von Jesus die Erde bebte und der Vorhang im Tempel von Jerusalem mitten entzwei riss. Über Haydns Musik schrieb einst ein begeisterter Anhänger unter anderem: „Sein Satz hat Schönheit, Ordnung, Reinheit, eine feine und edle Einfalt, die schon eher empfunden wird, als die Zuhörer noch dazu vorbereitet sind.' Exakt diese spezifischen Eigenheiten und Charakteristiken des Werks vermochte die Bayerische Kammerphilharmonie glanzvoll und in leuchtenden Klangfarben zum Ausdruck zu bringen. Alan Buribayev am Dirigentenpult achtete mit einem hohen Maß an Einfühlsamkeit und Sensibilität darauf, dass bei aller gebotenen Verhaltenheit der Tempi die von der Komposition ausgehende Stimmung nicht als trostlos, sondern vielmehr als hoffnungsvoll im Sinn der christlichen Lehre empfunden wird, dass der Tod am Kreuz für die Menschheit Erlösung von den Sünden bedeutet. Diese Wiedergabe der Komposition von Joseph Haydn und die Worte von Walter Jens wurden von den Besuchern des Konzerts in der Maulbronner Klosterkirche mit lang anhaltendem, lebhaftem Beifall aufgenommen. ISBN 3-930643-97-9 12 June 2004 - Rudolf Wesner ------------------------------ Pforzheimer Zeitung Wenn Musik und Wort sich spiegeln - Haydns „Sieben Worte“ in Maulbronn mit der Bayerischen Kammerphilharmonie und dem Tübinger Rhetorikprofessor Walter Jens Formal sind Haydns „Sieben Worte des Erlösers am Kreuz' eine Besonderheit Seine Karfreitagsmusik zu Christi letzten Worten ist in mehreren autorisierten Varianten (als Streichquartett, Kantate, Oratorium und Arrangement für Tasteninstrumente) überliefert Die bei den Maulbronner Klosterkonzerten gebotenen sieben langsamen Sätze der ursprünglichen Orchesterfassung (Hob.XX/I) sind mit den biblisch überlieferten Christusworten überschrieben und zudem umrahmt von einer getragenen Einleitung („Maestoso ed Adagio') und einem „Presto'-Epilog („Il Terremoto', Das Erdbeben). Dennoch präsentierten die Maulbronner Interpreten das Stück nicht als theatralische Programmmusik. Vielmehr beleuchteten sich Wort und Musik gegenseitig und zeichneten in facettenreichen Spiegelungen ein Hörbild nach, das musikalisch den Ausdruck intensiver Empfindungen und die sprechend kommentierende, im Denkprozess verwurzelte Meditation gleichermaßen ermöglichte. Denn in der gut besuchten Klosterkirche ergänzten sich das einfühlsame Instrumentenspiel der Bayerischen Kammerphilharmonie unter Leitung von Alan Buribayev und die von dem Tübinger Rhetorikprofessor Walter Jens vorgetragenen Bibeltext-Paraphrasen und -Auslegungen zu einem vielschichtigen, anregenden Miteinander. Gemessen, oft voluminös oder sehr zart in breit ausgezogenen Tempi, nicht aber schwerfällig oder unpräzise, entfaltete die Philharmonie aus Bayern obertonreiche Schwebungen der Komposition, die vom Kirchenhall zusätzlich profitierten. Klangschönheiten wurden zu Ausdrucksträgern und der Expressionswahrheit zuliebe auch dynamisch oder durch Akzente gehärtet Moll-Dur-Kontrastspannungen zeigten sich bereits im Prolog, drückten sich ebenso in geschärften Anfangsfanfaren und lyrischen Fortspinnungen aus. Pausen wurden (im vierten Satz als Konsequenz der Verlassenheit) elementar wahrgenommen. Beleuchtungseffekte wie das Verlöschen des Streicherglanzes und Fahlwerden des Tons, der gleichsam seinen Körper verliert, vemittelten (im siebten Satz) Christi Weltabkehr und Tod. Selbst das „Erdbeben' drängte sich den Hörern nicht etwa als Eruption plakativ auf, ließ aber die Energie ahnen, die Glaube, Liebe und Hoffnung zu entwickeln vermögen. Strahlkraft und Frische verlieh Walter Jens, der als ein weiser, altersgebeugter Nestor deutscher Beredsamkeit auf dem Konzertpodium saß, dem gesprochenen Wort In seiner Rede lebten Folter und Passion Christi, auch die Würde und Schlichtheit der Leidenssprache unseres Erlösers. Das Geschehen am Kreuz deutete Jens als einen Endzeit-Vorgang: „Denn die Schöpfung könnte, wie die Dinge heute auf der Erde stehen, auch zurückgenommen werden. Und schon bald.' So fand die unter dem Motto „Credo - ich glaub' und bin doch ungewiss' stehende Maulbronner „musica sacra'-Reihe für ihr Anliegen eine sinnfällige Form. 12 June 2004 - Eckehard Uhlig